Das ganze Leben in einer Tasche

Das Leben in einer Tasche

In den vergangenen Tagen ging die Aufräum-Queen Marie Kondo durch alle sozialen Netze und es wurde heiß über Sinnhaftigkeit von Struktur und Minimalismus diskutiert. Das ist auch ein Thema, das mich beschäftigt. Seit Monaten. Dabei geht es nicht darum, weniger mitzunehmen, sondern darum, das Wichtige immer dabeizuhaben. Mein Ziel: das ganze Leben in einer Tasche.

Ich bin das Chaos.

Ich bin das Chaos. An sich ist das etwas Gutes, schließlich gebärt man im Chaos Sterne. Mein Umfeld nimmt diese Tatsache nach vielen Jahren mit einem Schmunzeln zur Kenntnis. Vor Weihnachten schenkte mir eine Freundin ein Bild. Das hängt nun in meinem Büro. Darauf steht: „Hier herrscht kein Chaos. Hier liegen überall Ideen herum!“ Manchmal überkommt mich dann doch ein Anflug von Ordentlichkeit und ich beginne, meinen Schreibtisch aufzuräumen. Clean Desk. Je nach Höhe der Stapel und Umfang der Unordnung schaffe ich dieses Ziel nach einigen Stunden. Und dann? Dann sitze ich weinend in meinem Bürostuhl und sehne mich nach meinem hart erarbeiteten Durcheinander. Drei Tage später geht es dann schon wieder. Da fängt es wieder an zu wachsen. Mein geliebtes Chaos.

Was in einem Raum beherrschbar ist, nervt mich zuweilen im Leben, denn es kostet mich unendlich Lebenszeit: es ist weder das Chaos an sich, noch der Drang zu künstlichem Minimalismus, es ist schlichtweg die Tatsache, dass mein heutiges Leben nicht vereinbar ist mit Unstrukturiertheit. Was vor einigen Jahren möglich war, geht heute nicht mehr: Ich bin sehr viel geschäftlich unterwegs. Hinzu kommt das private Dauerpendeln zwischen zwei schönen Städten – Augsburg und Dresden. Ich bin verantwortlich für vier Unternehmen mit fast 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, schreibe leidenschaftlich Bücher und fotografiere ebenso begeistert. Musik hat einen elementaren Stellenwert in meinem Leben und zudem möchte und kann ich von dort arbeiten, wo ich gerade bin. Wenn ich denn alles dabei habe.

Ein Platz für Alles.

Hendrik, mein Mann, ist das komplette Gegenteil von mir: ordentlich bis hin zur Peniblität, beneidenswert strukturiert und immer gut sortiert. Auch er ist beruflich viel unterwegs, pendelt in seiner Freizeit und fotografiert. Der Unterschied zwischen uns beiden? Mich nervt, etwas Notwendiges vergessen zu haben und ihn nervt, etwas Wichtiges nicht mitnehmen zu können. Denn: Es fehlt die perfekte Tasche. Ein Alltagsbegleiter für Menschen wie uns: mobil, viel unterwegs, breitgefächerte Interessen und begeisterte Fotografen. Oftmals sind wir nach einer unserer Reisen (wie oben im Bild, als wir mit dem Zug von Dresden nach Imperia fuhren und das Erlebnis des Nightjets genießen durften!) anschließend wochenlang durch Internet und die Innenstädte geschlendert, in der Hoffnung, DEN perfekten Begleiter für uns zu finden. Aber es gibt ihn nicht: wir fanden richtig tolle Fototaschen, funktionale Messengerbags, wir testeten Rucksäcke und Umhängetaschen – aber nichts überzeugte in der Dauernutzung. Ihr ahnt schon, worauf das hinausläuft?

Ich packe meinen Koffer…

Richtig: es wuchs eine Wunschliste an Funktion und Form, um alles, was wir benötigen für unser mobiles Leben, auch immer dabeizuhaben. Bei mir ist das eine enorme Menge, aber ich kann und will auf nichts verzichten. Drei Notizbücher (eines für neue Ideen, eines für manomama und eines für aktuelle Schreibprojekte) müssen rein, dazu der große Jahreskalender, mein iPad nebst Stift, meine Kopfhörer, Ladegeräte für Handy und Tablet, Handcreme und Schminke, Farbfächer und Schreibmäppchen, Füllfederhalter und Schlüssel, die Fuji X-T3 immer, gelegentlich auch die X-T2, dazu 1-2 zusätzliche Objektive, Akkus und Ladegerät, Tabak und Feuerzeug, A4-Mappe für Unterlagen und die Trinkflasche.

Als wir unsere „Materiallisten“ verglichen, gab es gar keine allzugroßen Unterschiede, außer, dass Hendrik immer zwei Fotoapparate (X-T2 und X100F) mit einem zusätzlichen Objektiv dabei hat und statt iPad einen gepolsterten Platz für den Laptop braucht.

Form follows function.

Neben der Packliste war uns beiden wichtig, eine Tasche zu haben, die man mit einer Hand jederzeit schließen kann, denn das ist für Fotobegeisterte wie uns wirklich wichtig. Sie braucht spontanen Stauraum für kurzfristige Kleinteile (Objektivdeckel etc.), aber auch Sicherheitsfächer für den Reisepass. Sie muss auf einen Reisetrolley passen und darf, über die Schulter getragen, nicht unangenehm klobig oder zu wenig formstabil sein.

Zero Waste only.

Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass „gibts nicht, geht nicht“ und „geht nicht, gibts nicht“ sich durch mein Schaffen ziehen. Tja, und so nutzte ich die vergangenen Tage, um loszulegen. Zunächst reaktivierte ich drei alte Sattlermaschinen, die in meiner Werkstatt schon halb verwaist waren. Dann begann ich, Materialien zusammenzutragen. Natürlich: im herkömmlichen Produktdesign macht man erst ein Design, dann sucht man sich neue High-Tec-Materialien und lässt fertigen. Ich mache das immer schon anders: Das, was Industrie und Handwerk übrig lässt, wandert seit einigen Jahren in meine Musterabteilung, denn am liebsten entwickle ich Produkte mit Materialien, die noch Verwendung finden können und ich sie somit vor der Mülltonne retten kann. Zero Waste. Aus Alt mach Neu. Nichts ist für mich nachhaltiger, als nur Bestehendes zu verbrauchen.

Das Leben in einer Tasche
Das Leben in einer Tasche
Das Leben in einer Tasche
Das Leben in einer Tasche

Nachhaltigkeit heißt Respekt gegenüber den Ressourcen

Ich fand Reste von gestanzten Rindsledergürteln (bio und pflanzlich gegerbt), nahm Filzbahnen, die von einem Kundenauftrag übrig blieben, echtes Sattlergarn aus den 1980ern, Zuschnittreste aus der Sonnenschutzindustrie und, was mich besonders freute, ich fand noch eine sämisch gegerbte Haut von Hirschleder (keine Angst, der arme Kerl starb aus Altersgründen). Dazu ein paar Nieten, Reißverschlüsse und viel Zeit. In vielen Stunden entstanden zwei Prototypen: einer für Hendrik, und einer für mich. Zwei ganze Leben in jeweils einer Tasche. Schon nach der ersten Woche der Benutzung kann ich euch sagen, dass mir eines enorm auffällt: ich kontrolliere nicht mehr, ob ich alles für die anstehende Reise dabei habe, denn ich weiß „Es ist dabei“. Ich habe alles jederzeit im Zugriff, seitdem nichts mehr vermisst und so langsam muss ich zugeben, dass ein bisschen Ordnung was richtig Feines ist.

Wie es weitergeht und wie sich die Taschen bewähren, ob aus den Prototypen ein serienreifes Produkt wird, erzähle ich euch gerne in wenigen Wochen. Dann nämlich wird meine 10.000 Zugkilometer auf dem Buckel, 25 Lesungen meines neuen Buchs und eine Italienreise hinter sich haben. Mal sehen, wie das ganze Leben in einer Tasche so ist…

16 Antworten auf “Das ganze Leben in einer Tasche”

  1. Und gibt es die Tasche auch in Serie?
    Du hast so schön von 2 Prototypen geschrieben, das lässt die geneigte Leserschaft hoffen.

      1. Hallo Sina,

        gibt es mal wieder eine Wasserstandsmeldung wie es mit der Tasche weitergeht?

        Bevor ich mir was anderes zulege.

  2. Sina,

    seit Monden suche ich irgendjemanden, die/der genau das macht. Jedes kleinste Statussymbol kann man sich heute online zusamnenkonfigurieren. Hochwertige, nachhaltig hergestellte Taschen aber? Fehlanzeige.

    Freu mich, wenn es soweit ist und wir teilhaben dürfen.

    Besten Gruß,
    Ralf

  3. Liebe Sina,
    Ich bin sehr gespannt, wie sich die Prototypen bewähren und was ihr ändern werdet. Haltet uns auf dem Laufenden!
    Ich hoffe so sehr auf eine Tasche, in die alles passt, was ich immer bei mir habe. Wenn sie serienreif ist, dann werde ich euch auf jeden Fall ein Exemplar abkaufen.

    So, jetzt gehe ich mal Küchenrolle nähen…Zero waste eben…

    Rabea

  4. Ein Brichbag wurde zu meiner Lebenstasche. Es behütet meinen Alltagskram auf dem Weg zur Arbeit. In der dunklen Jahreszeit ist es ein Eyecatcher auf der Straße. Es war mit mir in Frankreich, Griechenland und Schweden. Es Schütz meine Einkäufe, Handarbeiten und Unterlagen vor Regen. Mit dem Brichbag habe ich einen bunten Lichtblick, wenn es mal trübe ist.

    1. Wie schön, das zu hören, liebe Kathrin! Die Brichbags habe ich zusammen mit Obdachlosen entwickelt. Und daraus dann die Modelle für den Alltag. 😊 Es freut mich so sehr, dass einer davon dein treuer Begleiter wurde. ❤️

  5. Hello, liebe Sina!

    Zwar brauche ich DIESE Tasche nicht, doch deine Geschichte habe ich sehr gerne gelesen. Und als inzwischen Etwas-weniger-Chaotin muss ich sagen: Es ist herrlich für mich in machen Ecken des Lebens eine gewisse Verlässlichkeit und Ordnung zu finden. Mein Mann schmunzelt derweil und sortiert seine Sachen weiter so hübsch:-).

    Alles Liebe, Cornelia

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