Ade, Fast Food Leben.

Alles hat seinen Grund. Manchmal erschließt er sich nur nicht gleich.“ – Das ist mein Credo, mein Mantra, welches mich täglich durch mein Leben begleitet. Seit vielen Jahren. Immer schon, eigentlich. Es lässt mich gelassen sein und sogar Situationen annehmen, die selbst nur schwer zu akzeptieren scheinen. „Pfff, bei dir funktioniert ja immer alles!“, höre ich oft. Oder, wie einst eine Freundin zu mir sagte: „Du bist einfach unterm Kronleuchter geboren. Da kann man dann gerne das Beste aus dem Besten machen!“ Lange verschenkte ich keinen Gedanken an Äußerungen wie diese, allein weil mir die Zeit fehlte, darüber zu sinnieren. Ich war und bin damit beschäftigt, damit alles funktioniert, was ich so treibe und worin ich mich engagiere.

Vor über einem Jahr bekam ich einen Anruf. Dominique Klughammer, eine renommierte Regisseurin, klingelte an. Die „Menschenfilmerin“, wie sie zurecht anerkennend von den Medien genannt wird, fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihr ein Projekt zu machen: Lebenslinien für den Bayerischen Rundfunk. Dieses Format ist eine sehr nahe Reportage über einen Menschen. Es geht nicht darum, was er macht, sondern wer er ist, und warum er geworden ist, wie er heute agiert. Zunächst witzelte ich darüber. „Ich bin erst 39 und noch nicht tot“, sagte ich. dann jedoch, nach längerem Nachdenken, sagte ich zu. Dass mich diese Entscheidung mehrfach zurückfallen lassen und dabei einen großen persönlichen Schritt nach vorne bringen würde, hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht. Vielleicht, weil ich überhaupt nichts gedacht hatte. Und schon gar nicht daran, was für ein Mensch ich war. Das aber muss man wissen, um zu verstehen, was für ein Mensch ich bin.

Eine Reise durchs Leben in sieben Monaten

Sieben Monate lang begleitete mich das BR-Team. Der Unterschied zu anderen medialen Projekten? Sie alle dokumentierten mein Schaffen im Hier und Jetzt, das „Lebenslinien“-Team jedoch ging mit mir in meine Vergangenheit. In meine Kindheit, die eine wunderbare war. Durch meine Jugend, die meinem Empfinden nach katastrophal war. Wer, wie ich, früh das Elternhaus verließ, denkt nicht gerne an die eigene Jugend. An die Zeit, in der man selbst auf sich gestellt ist, kämpfen musste um jede Monatsmiete, durch das viele Arbeiten mit Absenz in der Schule brillierte, ein elendes Abitur hinzimmerte. Es war eine Zeit, die ich abhakte und im Laufe der Lebensjahre verklärte. Bis zum Dreh. Ich durfte Wegbegleiter treffen, die mich vor 25 Jahren als junges Mädchen kennenlernen durften. Die Sekretärin der Zeitung, wo ich als 14jähriges Mädchen bereits täglich die Redaktion unterstützte, meine Patentante, M., bei dem ich kurzerhand Unterschlupf fand, da ich zwar Kohle verdiente, aber das fehlende Alter von 18 Jahren einen Mietvertrag verhinderte. Durch deren Erzählungen lernte ich einen neuen Menschen kennen: mich, als heranwachsende junge Frau. Sie alle erinnerten sich unabhängig von einander an zwei Charaktereigenschaften, die man mir zusprach: tatkräftig und tiefsinnig.

Dich findet, was zu dir gehört

Schon als junges Mädchen habe ich überall angepackt und über alles nachgedacht. Und zu Papier gebracht. Ich fand bei der Suche nach Relikten aus meiner Jugend viele lyrische Zeilen, Tagebucheinträge und Artikel. Und war selbst überrascht. Schon früh erkannte ich, dass die Welt durchs bloße Zusehen sich nicht ändern würde, und man aktiv und furchtlos mitgestalten sollte. Beim Lesen erkannte ich einen weiteren, großen Irrtum, dem ich aufgesessen war: mein Ventil, mir Luft zu verschaffen, schien stets die Musik. Das Musikmachen. Es war jedoch das Schreiben. Das Schaffen von Sichtweise und Sichtweite in Worten und Zeilen. Dass ich mittlerweile eine erfolgreiche Sachbuchautorin geworden bin, war folglich kein Zufall. Dass ich wieder begann, in Cafés mich zum Schreiben zurückzuziehen, kein Luxus. Es gehört zu mir. Das bin ich. Schon immer gewesen. Allein, es brauchte einen Dreh, um es zu erkennen.

Das vierte ist das erste Buch

Während der Dreharbeiten und mit dieser Erkenntnis entstand mein neues Buch: „Zukunft ist ein guter Ort“ (erscheint am 1.3.2019). Vergangene Woche, auf dem Weg zu einer Radiosendung, nahm ich das erste Druckexemplar und las es zum ersten Mal nach Abgabe des Manuskripts durch. Es ist das vierte Buch. Und gleichsam das erste. Es ist anders. Es ist tiefsinnig. Harald Welzer hat im Vorwort formuliert: „Man wird sich ermutigt fühlen, die Dinge mitgestalten zu wollen, weil ihr Formulierungen gelingen, die man aus dem Buch nimmt und mit durch sein Leben tragen wird. Zum Beispiel: „Solidarität hat etwas gemeinsam mit Heimat. Sie muss vorhanden sein, um sie nicht zu brauchen.“ Dass in so einem Satz das komplette Set an Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie enthalten ist, erschließt sich erst mit dem langen Nachhall, den solche Sätze haben. Eine nachhaltige Gesellschaft braucht – nachhaltige Gedanken. Und nachhaltige Gründe, diesen Gedanken auch Taten folgen zu lassen. So ein Buch ist das.

Selbstvertrauen macht Mut

Letzte Woche besuchte mich ein Journalist. Wir sprachen über Gott und die Welt, vom Machen, von Möglichkeiten und vom Schreiben. Im Laufe des Gesprächs verriet ich ihm, dass ich mich, völlig verrückt, auf meinen ersten literarischen Ausflug begab, einen Roman. Ich musste ihm den Beginn vorlesen, was ich tat. „Das ist wunderbar tiefsinnig-philosophisch. Bitte lassen Sie mich unbedingt wissen, wenn es fertig ist!“ Ich nickte und freute mich. Vor Beginn der Dreharbeiten hätte ich mich dies nicht getraut, nun empfand ich es für normal.

Man muss im Leben nichts anderes finden als sich selbst. Und selbst dies übernimmt das Leben noch in großen Teilen. Wenn wir vor einer Tür stehen, liegt es an uns selbst, diese zu durchgehen und einen neuen Raum zu erobern. Weil wir aber zu oft schon vor dem Eingang A nach dem Ausweg B fragen, verharren wir in Standpunkten. Wir beschäftigen uns lieber mit Nichtigkeiten und Belanglosigkeiten als unserer Zeit Gehalt zu verleihen. Ich nenne es Fast Food Leben: es nährt dich nicht, aber es stopft dich voll. Jeder von uns hat es selbst in der Hand, das Völlegefühl durch Erfüllung zu ersetzen. Indem wir zulassen, was das Leben für uns bereit hält. Denn:

Alles hat seinen Grund. Manchmal erschließt er sich nur nicht gleich.

8 Antworten auf “Ade, Fast Food Leben.”

  1. Vielen Dank für diese Zeilen liebe Sina! Ein schönes Wort zum Sonntag 😚
    Auf das Buch freue ich mich schon sehr (ist bereits vorbestellt)! Ich wünsche dir von Herzen viel Erfolg damit und alles Gute!
    Liebe Grüße aus den Bergen

  2. Sehr, sehr schöner Text! Danke dafür – und sorry, dass ich Sie vor einigen Wochen etwas voreilig in meinem Blog v.a. als „Macherin“ porträtiert habe! Aber so ist das wohl, wenn man als Mensch eine sehr ausdrucksstarke, tatkräftige Seite hat, da erschließen sich die zarteren Nuancen erst, wenn man sich als Betrachter/in nicht davon blenden lässt. Herzlichen Gruß, ich lese Ihre Blogbeiträge immer wieder gern!
    Sarah/„Sunnybee“

  3. Danke!
    Ich bin chronisch krank und ungewollt kinderlos – und der Satz „ Es hat alles einen Sinn – man sieht ihn nur nicht immer sofort.“ hat dafür gesorgt, dass ich nicht irgendwann den Mut verloren habe!

    1. Liebe Kathrin, ich glaube, jeder von uns hat gesundheitlich, psychisch, körperlich oder wie auch immer, sein „Päckchen“ zu tragen. Auch ich. Und ja, genau dieser Satz trug und trägt mich durchs Leben. Er hat sich jedesmal wieder bewahrheitet. ❤

  4. Welches Instrument spielst Du? Bei mir war es andersrum, Musik-LK war eine Verlegenheitslösung, weil Physik nicht ging… und erst nach 2 Jahren im Ingenieurstudium habe ich gemerkt, wie sehr mir die Musik fehlt, als ich ins Uniorchester ging. Um dieses Orchester rankt sich seitdem alle familiäre Planung, egal ob stillend oder notgedrungen mit Kindern, ob Hausbau oder geistige Erfrischung oder Trost..,

  5. Wow, wie wahr!!!
    Ich hatte auch ein Fast Food Leben… bis es an die Gesundheit ging… zum richtigen Zeitpunkt die Notbremse gezogen. Seitdem lebe ich gelassener und bewusster… ich rege mich über vieles nicht mehr auf (insbesondere über das, was ich nicht ändern kann…), hetze nicht mehr zu Terminen und sinniere darüber, was mich erfüllt… ich bin zwar (noch) nicht zu einem Ergebnis gekommen… ABER: es geht mir wieder richtig gut! ❤

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