Das digiTal der Tränen.

Vergangenen Donnerstag war ich zu Gast bei der Talksendung „Maybritt Illner“. Das Thema: „Sozial oder digital – die Zukunft unserer Arbeit“ (wobei es eigentlich „sozial und digital“ besser geheissen hätte!). Was die wenigsten wissen, ist die Tatsache, dass ich seit über 20 Jahren auch eine erfolgreiche Digitalagentur als geschäftsführende Gesellschafterin führe. Hier begleiten wir mittelständische Unternehmen und große Konzerne in das digitale Zeitalter. Dies aber nur am Rande. Mit mir in der Runde saßen der Arbeitsmarktforscher Stefan Sell (den ich sehr schätze), und ein paar Politiker: Beer (FDP), Altmaier (CDU) und Nahles (SPD). Ich habe mich richtig auf die Runde gefreut, denn das Thema ist so verdammt wichtig, gerade wenn wir über Ängste in der Bürgerschaft sprechen, sehe ich die Ungewissheit der Zukunft als einen der Treiber  von Angst und Hass. Denn: die Wahrheit muss endlich auf den Tisch.

Ja, wir werden viele Erleichterungen und Annehmlichkeiten durch die Digitalisierung bekommen. Ein ebenso vehementes Ja muss man artikulieren, wenn man über den Abbau und enorme Umstrukturierungen von Erwerbstätigkeit spricht. Nur: darüber sprach keiner. Kein einziger Politiker hatte die Eier, einmal die Realität zu benennen und ernsthafte Wahrheiten von sich zu geben. Dafür gab es von Seiten der CDU ein „Wir haben Fehler gemacht“ und von der SPD ein „Wir waren fleissig und haben immer auf alles eine Lösung!“ – Schönreden auf höchstem Niveau. Schönreden aber bringt uns nichts: heute nicht und in Zukunft nicht. Die aber muss uns viel zu wertvoll sein, als sie von Politikern durch Nichtstun zu verzocken. So erzählte ich schlichtweg aus meiner Sicht des Praktikers. Aus dem Leben und Handeln eines Unternehmers, einer Hochschulrätin und eines Menschen, der möchte, dass wir eine gute Zukunft haben. Dies bedingt auch, dass wir Erwerb und Existenz in Zukunft voneinander entkoppeln. Um dies hinzubekommen, müssten wir längst schon die Weichen gestellt haben und, ach – seht selbst:

Was aber geschah nach den Ausführungen? Ich erwartete argumentativ fundierte Gegenpositionen. Aber: Nichts. Absolut nichts. Statt eine ernsthafte Diskussion zu beginnen, sah ich reihum (ausgenommen die Moderatorin und den Professor Sell) absolut ahnungslose Gesichter. Keine Konzepte. Null Vision. Nach mir die Sintflut. Oder, wie soll man diesen Ausdruck deuten?  (Ich glaube, ich habe ihr da gerade erklärt, dass nicht jeder Mensch durch permanente Qualifikation zum Akademiker zu machen ist…)

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Foto: Screenshot, Quelle: ZDF Maybritt Illner

Gerade von der designierten Parteivorsitzenden der Sozialdemokraten erwartet ich (und das dürfen wir auch) Sozialkompetenz, einen gemeinwohlorientierten Blick in die Zukunft und echte Konzepte, die das Leben aller besser machen. Leider vergebens! Dennoch hatte diese Sendung für mich auch etwas Gutes: sie diente als absoluten Arschtritt für mich selbst, endlich meine Vision einer besseren Gesellschaft für alle fertigzuschreiben. Denn: viel Zeit bleibt uns nicht mehr, um die Kurve zu bekommen und mit Politikern, wie ich sie in dieser runde erlebt habe, enden wir vielmehr in einer unüberwindbaren Schikane. Das Problem nämlich ist: wenn wir uns die Politik ansehen, befinden sich die langjährigen Mandatsträger längst schon in einer Post-Leistungsgesellschaft. Ihre Existenz ist von ihrer Leistung längst abgekoppelt. Dieser damit verbundene Realitätsverlust lässt sie keine Lösungen für uns gestalten. Wir alle also müssen mitanpacken. Und wenn wir schon keine großen Visionen von unseren Politikern erwarten dürfen, eines können und müssen wir einfordern: sie müssen aufhören, den Lobbyisten zuzuhören und in ihrem Handeln jene begünstigen, sie müssen echte Ideen aus dem Volk zur Kenntnis zu nehmen und diese für eine Umsetzung vorbereiten. Denn: diese Politiker, wie sie hier zu sehen sind, sind der Zukunft nicht gewachsen. Sie brauchen Hilfe. Unsere.

 

 

13 Antworten auf “Das digiTal der Tränen.”

  1. Liebe Sina Trinkwalder, ich teile Ihre Meinung, was die Performance der Politiker angeht nur zum Teil! Ich denke, das es manchmal besser wäre Staatssekretäre/Innen statt Minister/Innen einzuladen, denn die Ressorts sind einfach zu groß um jedes Detail zu kennen. Gerade Andrea Nahles ist seit Monaten eigentlich damit beschäftigt, die SPD Karre wieder flott zu machen. Ich will da nichts entschuldigen, aber ich denke das für viele Menschen die Digitale Agenda gerade erst begonnen hat. Ich finde ihr Engagement gut und absolut wichtig! Schön das Sie den Finger in die Wunde legen!

  2. Bevor ich genervt abgeschaltet habe, bekam ich noch eine bemerkenswerte Einlassung von Ihnen mit, sinngemäß:
    „Meine etwa 150 Mitarbeiter (bei manomama) könnte ich auf 20 reduzieren, wenn ich moderne Maschinen einsetzen würde“.
    Auch wenn es scheinbar nicht zum eigentlichen Thema gehört: Ist diese Aussage belastbar? Dazu wünsche ich mir einen Artikel von Ihnen.

    Warum? Als jemand, der 3/4 seines Lebens mit Automatisierung zu tun hat, stelle ich fest, daß der Digitalisierungsklapperatismus in vielen Fällen mehr Arbeit (und Umweltverschmutzung) generiert als einspart.

    Ich dachte bislang, daß manomama das Zeug hätte. gerade diese These zu stützen.

    1. Lieber Hans, ich habe in einem vorgehenden Artikel bereits einmal darüber geschrieben. Fakt ist, dass manomama zB nur funktioniert, weil wir von Anbeginn jegliche administrativen Prozesse digitalisiert haben. Wir haben 2 Stellen in der gesamten Verwaltung (Personal, Einkauf, allgemeine Administration). Wir haben also eine Gewichtung von 97% zu 3% von Produktion und Verwaltung. Damit allein zeigt sich, wie vehement die Einsparungen im verwalterischen Bereich sein werden.
      Dann zur Produktion: Ein Paspelautomat fertigt 1200 Paspeltaschen/Stunde. Demgegenüber benötigten wir für die Menge 5 Menschen und einige Tage. Ein Hosenautomat schließt in der Zeit eine Hose, in der meine Näherin jene noch nicht einmal in die Hand und unter die Maschine gelegt hat. Roboter und Automatisierung zur Reaktion der Rüstzeit gibt es ebenfalls zu Hauf. Diese Aussage ist also mehr als belastbar. Genau ausgerechnet würde mein Bauch sagen, kommt irgendeine Zahl zwischen 18 -25.

  3. Liebe Sina,
    auch wenn Ich nur den Clip auf Facebook kenne, und die komplette Sendung nicht gesehen habe: vielen Dank für Deine Worte und Dein Engagement. Das was Du da gesagt hast muss eigentlich aus dem Mund der Frau kommen die ihr Gesicht so komisch verzieht. Die Sozialdemokratie hat verlernt dahin zu gehen wo es weh tut.
    Liebe Grüße aus dem Ruhrpott und Glück Auf!

  4. Liebe Sina, solche“gestellten“ Sendungen sehe ich mir schon lange nicht mehr an. Die Lehrerin Petra Paulsen hat es bei Schrang.tv bestätigt was viele ahnen. Und wenn ich mir die Nachdenkseiten und die Bundestagsreden anhöre…wenn ich den Frauenmarsch in Berlin live verfolgt habe..tja dann weiss ich, wir können nur im kleinen Umfeld etwas verändern und dafür zolle ich Dir grossen Respekt.

    1. Liebe Tea, eines darf ich anmerken, wäre die Sendung „gestellt“, wäre es nicht zu einem derartigen Auftreten der Politiker gekommen.

  5. Bzgl. der Vorwürfe an die Politiker das Thema Digitalisierung ernst zu nehmen muss ich sagen: ziemlich einseitig dargestellt. Wer war im letzten Kabinett für Digitalisierung verantwortlich? Dobrint von der CSU. Wer hat das Thema Internet als Neuland bezeichnet? Merkel. Wer hat vor mehr als 30 Jahren einen 30 jährigen Plan aufgesetzt das Land mit Glasfaser zu versorgen und mit der Umsetzung begonnen? Helmut Schmidt, SPD. Wer hat den Glasfaserausbau zu Gunsten des Ausbau des privat TV (um konservative Wählerschichten zu beschallen, nahezu oTon Stoiber) gestoppt? Helmut Kohl, CDU. Wer hat vor zwei Wochen bei Anne Will noch von „dem Internet“ gesprochen? Laschet, CDU. Und jetzt das Thema auf Nahles/SPD abzuschieben ist armselig. Sie macht sich damit genau zu dem was sie Politikern vorwirft: zur Lobbyisten der Union. Echt traurig, dass sie auch noch positive Kommentare bekommt. Kritisch geht anders.z

    1. Lieber Engert, leider nein.
      1. Zieht sich die Teilnahmslosigkeit durch alle Farben der Parteien.
      2. Mit besonders realitätsfernen Vorschlägen stach Frau Nahes heraus. Altmaier hat sich, wenigstens zu „Fehlern“ bekannt. Macht es aber auch nicht besser, wenn nicht schleunigst etwas passiert.

  6. Hat dies auf StenorKunst rebloggt und kommentierte:
    Einer der bestern Texte, die ich in der letzen Zeit gelesen habe – und ich lese nicht wenig. Klare Sicht der Dinge von Fr. Trinkwalder. Ja, Herz und Verstand sind notwendig, um ein Land gut zu führen, und ich vermute bei vielen Politikern eben genau das Herz – alles wird nur noch als Ding, Sache oder Gegenstand verwaltet – neue Ideen, Herzblut, Gehör für die Jungen, für die Geeks, leider oft nicht vorhanden. Super Text. Bitte mehr Menschen wie Sina mit Herz und Verstand.

  7. Ganz bestimmt ist eine Maschine schneller als eine Näherin.
    Bloß: Was kostet sie, wie groß ist der administrative Aufwand, bis sie erstmal dasteht, und dann nimmt mit der Einrichtung und „Programmierung“ der Wahnsinn seinen Lauf.
    Seit Jahren registriere ich mit Entsetzen, wie hoch allein der Aufwand ist, die desolate Windows – Bediensoftware vor „Schädlingen“ zu schützen. Den Mist ordnungsgemäß zu lizensieren. Die Mitarbeiter einzuweisen.
    Die alten DA-Industrienähmaschinen, welche Ihr einsetzt, sind durchdacht konzipiert, einfach gehalten, robust und einigermaßen unempfindlich gegen Fehlbedienungen. Alles Eigenschaften, die auf moderne Automaten nicht zutreffen.
    Plötzlich brauchst Du auch Infrastruktur: Unterbrechungsfreie Stromversorgung, Kompressor- und Druckluftanlage…
    Allein die Wartung und Prüfung der Hilfsenergieanlagen für die Drucklufterzeugung kosten jährlich ein kleines Vermögen!

    Eine schnelle Maschine reicht nicht, denn eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Da winkt dann die Keule „Kapitaldienst“!

    Wehe, so eine Maschine ist ‚mal kaputt, weil der Windows – Admin alle Daten gehimmelt hat und natürlich keinerlei Sicherung vorliegt (erlebe ich 2 Mal pro Jahr).

    Manomama habe ich immer als den kleinen, schlagkräftigen David gesehen gegen den aufgeblähten technisch-technokratischen Automatisierungsmoloch: Maschinen ja, aber einfache und universelle Maschinen, geführt und bedient von Menschen.

    Sie betreiben eine geniale Guerilla-PR („KIK my ass“), aber das können wenige andere auch. Mit der Idee jedoch, mit einfachen Produktionsmitteln, erfahrenen Menschen und lokalen Ressourcen eine Textilproduktion zu beginnen, haben Sie etwas Großes geleistet. Etwas ganz Großes.
    Es ist bestimmt schon ein Jahrzehnt her, als Sie in einem Interview geäußert haben, „Anerkennung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erreicht man in unserer Gesellschaft nur durch bezahlte Arbeit“. Sie haben vielen Menschen ihre Würde zurückgegeben, weil sie Ihnen kein Almosen vor die Füße geworfen haben, sondern sie wieder in den Arbeitsprozeß zurückgeholten.

    Gerade deswegen macht es mich ein bißchen traurig, wenn Sie (ich vereinfache jetzt) äußern, „130 meiner Damen könnte man durch ein paar Maschinen ersetzen“.

    1. „könnte man“ – ich mach es aber nicht. Das genau ist ja das Konzept. Solange wir in einer Leistungsgesellschaft sind, ist es die Aufgabe eines jeden Unternehmers, jedem Menschen die Möglichkeit des Erwerbs zu geben.

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